Rechtsanwalt Dr. jur. Ingo E. Fromm, Rechtsberater in Koblenz
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Dienstag, 12.05.2020

Straf- und Bußgeldverfahren, Corona-Pandemie und Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzung



von
Dr. jur. Ingo E. Fromm
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht

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Die Covid-19-Pandemie ist in allen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens angekommen. Auch die Justiz hat sie weiterhin fest im Griff. Das eifrige Ziel, in Zeiten von Corona müsse der Rechtsschutz grundsätzlich gewährleistet sein, kann nicht überall erreicht werden, zumal Gerichte und Staatsanwaltschaften auf die Krise kaum vorbereitet waren. Ein Weiterarbeiten ist - wenn überhaupt - nur mit erheblichen Einschränkungen möglich. Der Gesetzgeber hat, um die Folgen der Krise abzumildern, im Rahmen des Corona-Maßnahmenpakets[1] bereits Änderungen in der Strafprozessordnung auf den Weg gebracht,[2] damit Prozesse nicht mehr durch notwendig werdende Unterbrechungen und Terminsaufhebungen platzen. Zwar ist zu beobachten, dass nunmehr auch wieder Straf- und Bußgeldverfahren vor Gericht stattfinden, die nicht eilbedürftig sind. Damit sind die Lockerungsmaßnahmen auch bei der Justiz angekommen. Die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie sind jedoch weiterhin auch bei den Amts- und Landgerichten zu spüren, sei es durch Aushänge über notwendige Hygienemaßnahmen und Abstandsgebote, am Eingang aufgestellte Desinfektionsspender, oder Absperrungen von Zuschauerplätzen in den Verhandlungsräumen. 

Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Die Öffentlichkeit der Sitzung garantiert ein rechtsstaatliches Verfahren. Sinn und Zweck der Prozessmaxime ist in erster Linie die Kontrolle des Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit.[3] Es handelt sich um ein wichtiges demokratisches Prinzip im deutschen Recht, welches besagt, dass die Verhandlung als auch die Urteilsverkündung öffentlich zugänglich sein müssen. Bedauerlicherweise ist zu beobachten, dass gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz in Zeiten der Covid-19 Pandemie verstoßen wird.[4]

In amtsgerichtlichen Ladungen heißt es zum Teil, dass man „das Amtsgericht nur in zwingend notwendigen Fällen – zum Beispiel bei einer Ladung zu einem Termin – betreten“ sollte. Auf diese Weise trage man dazu bei, Ansteckungsrisiken weitestgehend zu vermeiden.[5] Da mögliche Besucher durch diesen Text auch abseits eines Verdachts auf eine Erkrankung oder Aufenthalt im Risikogebiet abgeschreckt werden und aufgefordert werden, nur „in zwingend notwendigen Fällen das Gericht zu betreten“, liegt ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz gem. § 169 I S. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vor, zumal der Besuch von Interessierten in einem Hauptverhandlungstermin nie „zwingend notwendig“ ist. Es erscheint ferner fraglich, ob der Grundsatz der Öffentlichkeit in Zeiten der Ausgangssperre überhaupt eingehalten werden kann/konnte, weil nicht mehr die Möglichkeit für Interessierte, insbesondere aus Bayern, besteht, Verhandlungsterminen beizuwohnen. Das Prinzip der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gilt grundsätzlich über §§ 46 OWiG, 169 S. 1 GVG auch im gerichtlichen Bußgeldverfahren.[6]

Bild von einem Sitzungssaal mit gesperrten Stühlen wegen Corona

Verfahrensfehler im Falle von Beeinträchtigungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes

War die Verhandlung nach Auffassung der Verteidigung nicht öffentlich, so müsste im Rahmen der Revision bei Strafsachen bzw. der Rechtsbeschwerde bei Ordnungswidrigkeiten die Verfahrensrüge erhoben werden,[7] die den strengen Anforderungen des § 344 II 2 StPO (i.V.m. § 79 III OWiG) genügen muss. Nach § 338 Nr. 6 StPO liegt sogar ein absoluter Revisionsgrund vor. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll hier das Urteil stets auf dem Verfahrensfehler beruhen.[8] Bei einem vollen Gerichtssaal riskiert aber der Richter einen Verfahrensfehler und damit eine Aufhebung seines Urteils wegen der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung durch die Revisionsinstanz, wenn er interessierte Personen wegen angeblicher Ansteckungsgefahr ausschließen will. Gemäß § 172 GVG kann das Gericht für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit nur bei Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder des Lebens oder des Leibes ausschließen. Ein genereller Ausschluss der Öffentlichkeit bei strafgerichtlichen Hauptverhandlungen ist nicht möglich. Die Beschränkung der Zahl der Anwesenden im Gerichtssaal erscheint problematisch, jedenfalls für den Fall, dass nicht alle Zuhörer, die am Termin interessiert sind, anwesend sein dürfen. Mancherorts werden von 30 Zuschauerplätzen im Gerichtssaal 25 Stühle gesperrt, mit der Folge, dass gerade noch eine Handvoll Plätze für die Öffentlichkeit übrigbleiben. In vergleichbaren Fällen hat die Rechtsprechung entschieden, dass die Öffentlichkeit nicht gewahrt ist, wenn die Hauptverhandlung in einem winzigen Raum stattfindet, in dem sich zu wenige Sitzplätze für Zuhörer befinden.[9] Ferner stellt sich dann die weitere Frage, nach welchen Kriterien die Besucher, denen Einlass gewährt werden soll, ausgewählt werden. Als milderes Mittel müsste in der Regel ein Termin verlegt werden.

Nachweise:

[1] Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, Bundesgesetzblatt 2020 Teil I Nr. 14, vom 27. März 2020, S.  569.
[2] Fromm, ZWH 2020, 89 ff.
[3] BVerfG, NJW 2002, 814.
[4] Kulhanek, NJW 2020, 1183; Fromm, DAR 2020, 251 ff.
[5] https://agko.justiz.rlp.de/de/startseite/ (Stand April 2020).
[6] OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2008, 50; OLG Düsseldorf, NJW 1983, 2514; OLG Köln, VRS 62, 195; BayObLG, NJW 1956, 641.
[7] Hierzu Fromm, Verteidigung in Straßenverkehrs-OWi-Verfahren, 2014, S. 395.
[8] OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2008, 50; OLG Celle, NZV 2006, 443.
[9] BayObLG NJW 1982, 395.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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